Am Samstag führt der Theaterverein Saas-Fee zum ersten Mal sein neues Stück auf. Nach dreijähriger Corona-Pause. Regisseurin Armella Bumann spricht über die Stimmung vor der Premiere.
«Muss viel im Krug sein?», «Nun, ich muss viermal daraus ausgiessen können.» Eine Türklingel ertönt. «Ich gehe nach hinten und mache mich bereit, in Ordnung?», «Wer hat meine Stifte gesehen?»
Vor der Hauptprobe des Theatervereins Saas-Fee herrscht geschäftiges Treiben. Die letzten Requisiten werden auf die Bühne gestellt, die Türklingel an den Kulissen auf ihre Funktionstüchtigkeit geprüft und die Schauspieler stellen sich für die erste Szene auf.
Armella Bumann sucht ihre Stifte. Sie ist Regisseurin des Theatervereins. Sie hat das Skript an den Bühnenrand gelegt, vor der Bühne steht ein Hocker. Darauf sitzt die Regisseurin wenige Minuten später und schaut der ersten Szene zu. Immer wieder lächelt sie über gelungene Pointen, manchmal schüttelt sie leicht den Kopf und macht sich auf dem Skript einige Notizen. Dann steht sie auf, stellt sich in den Durchgang zwischen den Stühlen im Zuschauerbereich.
Am Samstag führt der Theaterverein Saas-Fee zum ersten Mal das Stück «Rent a Family», oder wie das Stück auf Walliserdeutsch heisst: «Famili in Jahresmieti», auf. Es wird eine besondere Premiere, denn der Verein stand seit drei Jahren nicht mehr auf der Bühne.
Jedes Detail ist durchdacht
Normalerweise spielt der Theaterverein Saas-Fee alle zwei Jahre. Seit über 30 Jahren. «Famili in Jahresmieti» wird das 17. Stück, das aufgeführt wird. Doch aufgrund der Pandemie liegen mittlerweile drei Jahre zwischen der letzten Aufführung.
Während der Hauptprobe liegt Spannung in der Luft. Vorfreude, aber auch Anspannung. Ein Protagonist reicht einem anderen Darsteller auf der Bühne ein Kleidungsstück. Dieser nimmt es entgegen, es wirkt ein bisschen ungelenk. Die Szene wird unterbrochen. Armella Bumann stellt sich vor die Bühne und sagt: «Wenn du mit links die Tür öffnest, dann musst du das Kleid so über dem Arm tragen und ihm so reichen, dass die Zuschauer es richtig sehen.» Kein Detail wird dem Zufall überlassen.
Das ist es, was Armella Bumann als Regisseurin wichtig ist: Der Ablauf muss logisch sein. Da ist sie Perfektionistin. Sie sagt: «Wenn ein Protagonist aus seiner Pyjamahose fünf Franken hervorholt, macht das keinen Sinn. Wer hat denn schon Geld in seinem Schlafanzug?» Und die Sprache müsse authentisch wirken, sagt Bumann. Das Walliserdeutsch müsse so wirken, wie die Leute auch im Alltag sprechen, es dürfe nicht gespickt sein mit hölzernen Ausdrücken.
Im Januar hat Bumann angefangen, das Stück «Rent a Family» aus dem Hochdeutschen zu übersetzen. So ist sie damals überhaupt zum Theater gekommen: Ihr sei früher schon als Zuschauerin bei Theatern aufgefallen, dass die Übersetzung in den Dialekt oft nicht authentisch wirke. So habe sie angefangen, die Stücke von den Theatervereinen Saas-Fee und Eisten ins Walliserdeutsch zu übersetzen. Schliesslich, im Jahr 2010, übernahm sie die Rolle als Regisseurin. Wenn Armella Bumann darüber spricht, breitet sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus: «Das ist meine Welt. Ich liebe das Theater.»
Der lange Weg zur Premiere
Sobald der Originaltext übersetzt ist, beginnen die Stellproben, also erste Proben mit Skript in der Hand. Armella Bumann sucht die Theaterstücke passend zum Ensemble aus. Sie wisse bereits im Vorfeld, wie viele Damen und Herren beim kommenden Theater mitwirken werden und welches Genre das Stück sein soll. Und auch die Rollen verteilt sie bereits im Voraus. «Ich gehe im Kopf immer vorher durch, wer welche Rolle spielen wird», sagt sie.
Selber mitspielen würde Armella Bumann nicht. Einerseits habe sie mit ihrer Aufgabe als Regisseurin bereits alle Hände voll zu tun, andererseits brauche es jemanden, der das Stück und die schauspielerische Leistung im Blick behält. «Wer würde mich denn kontrollieren, wenn ich als Regisseurin selber spiele?», sagt sie.
Sobald der Text sitzt, fangen die richtigen Proben an. Gruppen- und Einzelproben führt das Ensemble durch. Armella Bumann spricht von etwa 100 Stunden, die der Theaterverein Saas-Fee für die Proben aufwendet.
Bei «Famili in Jahresmieti» handelt es sich um eine Verwechslungskomödie in drei Akten. Seit ihrer Schweizer Uraufführung 1970 wurde das Stück mehr als 300 Mal aufgeführt. Da verwundert es nicht, dass auch die Oberwalliser Theatervereine auf den Schwank aufmerksam wurden. Sogar mehrere zeitgleich: Der Theaterverein Agarn spielt aktuell dasselbe Stück. Doch das stört Armella Bumann nicht im Geringsten. Man nehme sich schliesslich keine Zuschauer weg, sagt sie. Dafür seien die Dörfer schlicht zu weit voneinander entfernt.
Im Gegenteil: Der Theaterverein Saas-Fee hat sich jüngst das Stück in Agarn angeschaut. Und die Agarner wollen den Besuch erwidern und nach Saas-Fee ins Theater kommen. Es sei interessant zu sehen, wie andere Ensembles das genau gleiche Stück umsetzen, sagt Armella Bumann.
Nun richtet sie ihren Blick wieder auf die Bühne, wo die nächste Szene beginnt. Sie setzt sich in Bewegung, durch den Gang zwischen den Stühlen an die rechte Seite der Turnhalle, in der die Bühne steht. Armella Bumann lacht, notiert und schaut aufmerksam zu. Sie hat das Stück im Griff. Und die Proben versprechen eine gelungene Premiere.
Text und Bild: Orfa Schweizer, Walliser Bote
Erschienen: 24. September 2022